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    Laktatdiagnostik ohne Laktat?! - aber mit künstlicher Intelligenz

    Lesezeit: 6 Min

    Bei einer Leistungsdiagnostik (Laktattest) geht es grundlegend um die Bestimmung der Leistungsfähigkeit eines Athleten. Eine Leistungsdiagnostik ist für Profis Alltag und kann auch ambitionierten Sportlern bei der Trainingsplanung helfen. Denn die subjektive Einschätzung der eigenen Leistung ist in vielen Parametern unzuverlässig. 

    Ist das Training nicht optimal konzipiert, fordert man sich zu sehr, zu wenig oder zu unstrukturiert. Trotz mittlerweile ausgefeilter und preisgünstiger Messtechnik (Stichwort: Powermeter) zur Erfassung der eigenen Leistung auf dem Rad, ist eine sportwissenschaftliche Interpretation der ‚nackten‘ Zahlen notwendig. Woher kann man sonst wissen, ob und welches Training zum Erfolg führt? Mit welcher Leistung man am effektivsten trainiert? Welche Komponente zur Topleistung noch fehlt?

    Grundwissen Laktatdiagnostik
    Diese Fragen kann ein leistungsdiagnostischer Labortest unter standardisierten Bedingungen im Radlabor beantworten. Dafür wollen wir uns zuerst das Grundlagenwissen anschauen.

    Watt
    Für den Test sitzt man sich auf einem speziellen Fahrradergometer und tritt nach einem festgelegten Schema stufenweise, daher auch der Name Stufentest‘, gegen einen sich steigernden (Watt-)Widerstand – bis man irgendwann erschöpft abbrechen muss. Der Abbruch ist Teil des Tests, jeder Athlet muss früher oder später die Beine hochnehmen. Der Clou und Grund warum man auf dem Ergometer sitzt ist, dass die zu tretende Leistung exakt vorgeben werden kann und die getretene Leistung exakt gemessen werden kann.

    Laktat
    Neben der reinen ‚Wattzahl‘ ist für die Interpretation üblicherweise ein weiterer Wert enorm wichtig: Die Laktatkonzentration im Blut. Sie ermöglicht einen objektiven und vergleichbaren Blick auf die Leistungsfähigkeit eines Athleten. Laktat alias Milchsäure, ist ein Stoffwechselprodukt und ein Energieträger, den der Körper in ‚Notsituationen‘ produziert und der in den Muskeln anfällt. Dabei hat Laktat als Energielieferant einen sehr geringen Wirkungsgrad. Sieht sich der Körper gezwungen, Milchsäure zu produzieren, gelangt er schnell an sein Leistungsmaximum. Die Rückmeldung dazu ist eindeutig, die Muskeln fühlen sich warm und sauer an, sie ‚übersäuern‘ und man ist nicht mehr in der Lage Druck auf das Pedal zu bekommen.

    Leistungsberechnung
    Der Anstieg der Laktatkonzentration ist individuell sehr unterschiedlich und deswegen ein optimaler Parameter in der Leistungsdiagnostik. Nimmt man nun noch die Herzfrequenz in Relation zur Leistung hinzu, lassen sich all die oben genannten Fragen mit einer Spezialsoftware beantworten. Sie errechnet und vergleicht die jeweiligen Anstiege von Laktat und Herzfrequenz mit dem gefahrenen Stufenprotokoll. Daraus ergeben sich die berühmten Schwellenwerte und die individuelle Einteilung der Trainingsbereiche.

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    Mit Corona ist im Moment alles anders

    Leider ist so ein Test, wie wir ihn eben beschrieben haben, im Moment nicht verantwortbar. Die grassierende Pandemie mit SARS-CoV2 erfordert, dass wir alle auf Distanz zueinander gehen. Aufschlussreiche, aber gleichwohl nicht lebenswichtigen Dinge wie leistungsdiagnostische Tests im Labor fallen unter das allgemeine Kontaktverbot zur Infektionsprophylaxe. Auch, wenn wir ja weiterhin mit dem Fahrrad unterwegs sein dürfen, auf Tests im Labor müssen wir aktuell verzichten. Und das obwohl wir vielleicht sogar noch mehr und intensiver als vor der Kontaktsperre trainieren (können).

    Laktattest ohne Laktat
    Die gute Nachricht: Es gibt die Möglichkeit, leistungsdiagnostische Untersuchungen außerhalb eines Testlabors durchzuführen und (zumindest fast) genaue Ergebnisse zu erzielen, nur eben ohne die Messung von Laktat im Blut. Die Grundvoraussetzung dafür ist die Messung der Leistung auf dem Fahrrad. Mit einer Messkurbel/Powermeter kann jeder Athlet auf der Rolle oder auf der Straße auf einem langen Anstieg praktisch denselben Test, wie im Labor absolvieren: Alle drei Minuten muss die Leistung erhöht werden – und am Ende jeder Stufe muss die Herzfrequenz ausgelesen werden.

    Künstliche Intelligenz
    Durch „Machine Learning“ ist es mit der, im Radlabor verwendeten, Software ‚Ergonizer‘ möglich, nahezu alle Ergebnisse eines Labortests auch ohne Laktatmessung zu reproduzieren. Natürlich bleibt der Labortest mit Laktat oder auch mit einer Spiroergometrie (Atemgasanalyse unter Belastung) das Maß der Genauigkeit. Stehen diese Methoden aber – wie im Moment – nicht zur Verfügung, ist es ratsam auf Ersatzverfahren zurückzugreifen, die ohne Laktatmessung funktionieren. Denn die fehlenden Werte werden durch das Computerprogramm sehr verlässlich vorhergesagt. Wichtig ist dabei, dass man die Testvorgaben exakt einhält und z.B. die Trittfrequenz im Laufe der Belastung möglichst konstant hält. Außerdem wird die Vorhersage nochmals genauer, wenn man selbst früher bereits Untersuchungen im Labor absolviert hat und diese Daten als Vergleichsdaten zur Verfügung stehen. Die neuen Ergebnisse werden dann über das Gesamtmuster der Ergebnisdaten rechnerisch abgeleitet.

    Radlabor-Blog-Diagnostik-ohne-Laktat

    Wann macht ein Test Sinn?
    Eine Leistungsdiagnostik ohne Laktat ist dann gewinnbringend, wenn man konkrete Ziele verfolgt, ambitioniert trainiert und sich steigern möchte. Die Diagnostik ordnet die eigene Leistungsfähigkeit ein und gibt den Fahrplan, in Form von Trainingsbereichen, für die kommenden Trainingsmonate vor. Wer sein Training effektiv und individuell angepasst gestalten möchte, der kommt um eine Leistungsdiagnostik nicht herum.

    Ist ein tatsächlicher Labortest präziser? 
    Ja. Deshalb, weil eine genaue Analyse essenziell wichtig ist, für die Steuerung des Trainings und die Kontrolle, ob das vorherige Training erfolgreich war oder angepasst werden muss. Ein Test ohne Laktat bringt etwas zur Überbrückung oder zum zwischenzeitlichen Check. Aber mit einer aufgeschobene Diagnostik, läuft man Gefahr, mit einem ‚veralteten Fahrplan‘ unterwegs zu sein. Eine Labordiagnostik, die tatsächlichen Stoffwechselprodukte exakt misst, anstatt sie zu berechnen ist schlicht und ergreifend präziser.

    „Im Moment gibt es eh keine Wettkämpfe, ergo auch keine Ziele“
    Gleich vorweg: Das ist leider zu kurz gedacht. Training und Leistungssteigerung sind eine langfristige Angelegenheit. Profisportler benötigen Jahre um ihren Körper in einen Weltklasse-Zustand zu bringen. Nicht wenige scheitern daran. Diese Anpassungsintervalle von mehreren Jahren sind bei Hobbysportlern nicht anders, wenn auch auf einem anderen Leistungsniveau. Klar, die jetzigen Maßnahmen und Rennabsagen sind ein harter Einschnitt, für jeden Athleten, ob Profi oder nicht. Eine plötzliche Zäsur, die psychisch ‚weh‘ tun kann, ganz ähnlich wie bei einer langwierigen Verletzung, aber sie sollte nicht zur Resignation führen. Die Pause bietet die Chance konkret und strukturiert zu trainieren und sich auf das DANACH vorzubereiten. Dafür sollte man sie nutzen und sich auf seine Motivation und die Schönheit dieses Sports zu besinnen. Wer die Pause aktiv nutzt und seine Leistung mit einer Diagnostik kontrolliert, der geht gestärkt und motiviert aus der Corona-Situation hervor.

     

    Autor: Prof. Dr. med Kai Röcker

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    Kai Röcker ist forschender Mediziner mit Spezialgebiet Sportmedizin und Leistungsdiagnostik. Aktuell lehrt und forscht er an der HS Furtwangen und ist seit vielen Jahren (Weiter-)Entwickler des Software-Tools 'Ergonizer', welches wir in den Radlaboren zur Auswertung von Diagnostiken verwenden. 

    Link zu Kais Software 'Ergonizer': ergonizer.de

    Belege und wissenschaftliche Publikationen von Kai findest du hier: Researchgate.net und National Library of Medicin (USA)