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    Talent und Responding (Knowledge)

    Lesezeit: 10 Min

    Die Leistungen der Profisportler versetzen uns Zuschauer das ein ums andere Mal ins Staunen. Immer wieder purzeln Rekorde, Wettkampfzeiten oder die Wattwerte einzelner Athleten scheinen zu explodieren. In fast jeder Sportart gibt es Sportler, die herausstechen und sich zum Teil deutlich von ihren Konkurrenten abheben. Woran liegt das? Warum gibt es im Profipeloton so eklatante Leistungsunterschiede? Und warum kann eigentlich nicht jeder Sportler Profi werden?

    Genetische Voraussetzungen
    Die genetische Prädisposition bzw. Ausstattung eines Athleten hat unbestritten a priori Einfluss, welche Leistung erbracht werden können. Jeder Mensch besitzt eine genetische Grundausstattung (Genotyp). Diese ist je nach Person unterschiedlich und es werden bei weitem nicht alle angelegten Gene ausgeprägt. Daher ergibt sich aus einer Teilmenge der Gene, sowie weiteren äußeren Einflüssen die tatsächliche Ausprägung, der sogenannte Phänotyp. Wenn schon Genotypen sich von Mensch zu Mensch unterscheiden, so tun es Phänotypen umso mehr und machen uns jeweils ‚einzigartig‘. Für Sportler bedeutet dies: Jeweils individuelle Grundvoraussetzungen und unterschiedlich angelegte Stärken, sowie Schwächen. Sportlich relevant ist hier vor allem der Muskelaufbau. Vereinfacht gesagt, die Zusammensetzung der unterschiedlichen Muskelfasertypen aus roter und weißer Muskulatur (slow twitch und fast twitch). Die Muskelkomposition gibt eine entscheidende Tendenz vor, ob man eher Ausdauerathlet oder Maximalkraftsportler ist. Spezifisches Training kann dieser Tendenz folgen, dann ist es sinnvoll, weil es sich an den natürlichen Voraussetzungen orientiert.

    VO2max
    Ein wichtiger körperlicher Wert, der oft dafür herangezogen wird, um in Ausdauerdisziplinen wie Radfahren schon früh potenzielle Talente zu erkennen, ist der Wert der maximalen Sauerstoffaufnahme (VO2max). Wie einige Studien zeigen ist dieser Wert zwar durch Ausdauertraining veränderbar, allerdings nicht in dem Maße, wie es etwa bei Ausdauerleistungsparametern der Fall ist. In einem maßgeblichen Teil der Untersuchung traten beim VO2max Wert auch keine Veränderung ein, trotz gleicher Trainingsintervention. Das wiederum lässt auf eine genetische Prädisposition und eine sehr geringe Reaktion (low response) auf die gewählte Trainingsform schließen.
    Für das Talentscouting in Kadern und Profiteams wird oftmals der VO2max Wert als einer der wichtigsten Parameter herangezogen. Warum gerade dieser Wert? Weil er objektiv messbar ist und aufgrund der Studienergebnisse ein hohes Maß an genetischer Prädisposition offenlegt. Die absolute Muskelkomposition hingegen zu messen wäre aufwändig und hätte keine hohe Aussagekraft, da sie durch Training veränderbar ist. Neben dem VO2max existiert ein weiterer ‚weicher‘ Parameter, nämlich die Fähigkeiten des Respondings. Da dieser Aspekt für jeden Sportler interessant ist, ob Profi oder nicht und aufschlussreiche Erkenntnisse über den eigenen Körper offenlegt, wollen nun näher darauf eingehen.

    Response = Talent?
    Der gerade angesprochene Aspekt des ‚Responding‘, bildet eine weitere Grundlage, wenn bei Athleten von ‚Talent‘ gesprochen wird. Das bedeutet, wie gut der jeweilige Athlet auf speziell untersuchte sportliche Reize anspricht, wie oft und lang Reize gesetzt werden müssen, damit eine körperliche Weiterentwicklung eintritt. Doch auch die Regenerationsfähigkeiten dürfen wir hier nicht außer Acht lassen. Denn ein echter Wettbewerbsvorteil für Athleten ist es, wenn sie sich von sportlichen Strapazen schnell erholen können. Man denke hier nur an die mehrwöchigen Rundfahrten, in denen Radprofis (fast) jeden Tag ihre Leistung über mehrere Stunden erbringen müssen und mit Transfers und Reisestrapazen nur wenig echte Erholungsslots zur Verfügung haben. Profis sind meist nicht nur sehr gute ‚responder‘ auf ihrem Spezialgebiet und sondern verfügen auch über optimale Erholungsfähigkeiten.

    In der Wissenschaft werden Athleten aller Leistungsklassen konkret auf ihre ‚responding‘ Fähigkeiten untersucht. Beim Vergleich unterschiedlicher Trainingsansätze, wie etwa reines Ausdauertraining gegenüber Intervalltraining, reagieren die Probanden mit sehr unterschiedlichen individuellen Reaktionsmustern. Studien dazu zeigen, dass vor allem Trainings, die sich in Intensität, Dauer und Stoffwechselquelle unterscheiden, unterschiedliche adaptive Reaktionen auf Leistungsparameter (maximale Herzfrequenz, Laktatschwelle, Sauerstoffaufnahme, …) bei einer bestimmten Person auslösen können. In diesen Untersuchungen wurde die Hypothese aufgestellt und bestätigt, dass Personen vor allem dann eine Trainingsanpassung erfahren, wenn sie empfindlich für bestimmte Trainingsreize sind (High Responder). Umgekehrt, reagieren Personen, die nicht sensibel für gezielte Trainings sind, mit keinem oder nur einem geringen Effekt (Low Responder). (Vgl. Mann, Lamberts, Lambert: 2014; vgl. Bonafiglia, Rotundo, Whittall, Scirbbans, Graham, Gurd: 2016)

    Aber was steckt konkret dahinter?
    Grund für diese unterschiedlichen Anpassungen können auch hier genetische Prädispositionen sein, die für die Trainingsanpassungen verantwortlich sind. Wissenschaftlich lassen sich darüber aber keine Pauschalurteile fällen. Entscheidend ist, dass dieses genetische Pool an leistungsempfindlichen Parametern absolute Einzelfälle sein können. Denn in den meisten Studien konnte kein Gruppeneffekt festgestellt werden. In diesen Untersuchungen führt jeweils eine oder mehrere Gruppen von Athleten ein definiertes Trainingsprotokoll durch, untersucht wird dann die körperliche Anpassung nach einem bestimmten Zeitpunkt anhand vordefinierter Leistungsparameter, wie etwa Maximalkraft. Dabei kristallisiert sich fast immer eine Gruppe von „Low-Respondern“ heraus – also Sportlern, die keine oder kaum Trainingseffekte vorzeigen und nicht auf die vorgegebenen Reize anspringen. Dabei ist es aber nicht bewiesen, dass genau diese „Low-Responder“ auf andere Trainings reagieren würden, die in Intensität, Dauer, Volumen erhöht bzw. variiert wären.

    Die Grundlage für die Responding Fähigkeit liegt also auch im individuellen Genpool eines Athleten. Die genetische Komposition kann sich sehr unterschieden. Dass letztendlich nicht jeder Talent in einer bestimmten Sportart hat, ist unbestritten – der eine Athlet reagiert schneller und effektiver auf Trainingsreize, der andere Sportler muss sie sich hart erarbeiten. Um hier vergleichbare Erkenntnisse gewinnen zu können, empfiehlt es sich für den ambitionierten Athleten, die persönlichen Leistungsparameter regelmäßig zu bestimmen und zu überprüfen, beispielsweise durch eine Leistungsdiagnostik.

    Gibt es auch Non Responder?
    In früheren Untersuchungen geistert zum Teil der Begriff des ‚Non Responders‘ umher, der als Athlet beschrieben wird, der überhaupt nicht auf Trainingsreize anspricht. Dieser Begriff ist mittlerweile widerlegt. Neue Forschungen, wie etwa an der Uni Zürich zeigen, dass jeder Athlet auf Trainingsreize anspricht, manche müssen jedoch mehr dafür tun, als andere. In der angesprochenen Studie wurden 78 erwachsene Personen in fünf Gruppen unterteilt, die jeweils ein-, zwei-, drei-, vier- oder fünfmal pro Woche ein einstündiges Trainingsprotokoll über einen Zeitraum von sechs Wochen ausführten. In der Gruppe mit einer Intervention pro Woche waren, den Ergebnissen nach, alle Athleten ‚Low- bzw. Non-Responder‘. Auch in der Gruppe mit zwei- oder dreimaligem Training pro Woche, fanden sich Personen, die kaum Reaktionen auf die Trainingsreize zeigten. Also steckten die Forscher die scheinbaren ‚Non Responder‘ für weitere sechs Wochen in eine neue Gruppe und erhöhten die Trainingsdosis um jeweils zwei Einheiten pro Woche. Nach Ablauf des zweiten Turnus waren die Ergebnisse ganz andere: Die vorherigen Non Responder haben nun Reaktionen gezeigt und sich allesamt körperlich verbessert. Das Urteil der Wissenschaftler lautet also: „Die Ergebnisse zeigen, dass zeitgenössische Konzepte über die Untrainierbarkeit von Menschen und Vorannahmen [bei der Trainingssteuerung] neu untersucht werden müssen.“ (im Original: “These findings highlight the need to re‐evaluate contemporary concepts about human untrainability and exercise prescription.” (Montero, Lundby: 2017))

    Was heisst das für mich?
    Wer das Gefühl hat, meistens sehr gut auf Trainingsreize anzuspringen, gut regenerieren zu können und bei dem auch Leistungstests immer nur Verbesserungen bescheinigen. Der gehört wohl in die Gruppe der high responder. Allerdings ist das nicht die Mehrzahl, für alle Anderen ist erst einmal positiv herauszuheben, dass responding ein sehr individuelles Thema ist. Jeder Mensch hat das Potential sich in entscheidenden Leistungsparametern zu verbessern. Zwar gilt das nicht für alle Parameter, aber wenn man seine ‚Nische‘ gefunden hat, dann auf jeden Fall im persönlichen Spezialbereich. Doch man muss sich bewusst sein, dass Ziele, die jemand anders erreicht, selbst nur mit einem Multiplikator in Dauer und Intensität zu schaffen sind. Man muss also den eigenen Weg finden. Selbst wenn bei Vereinskollegen ein bestimmtes Trainingskonzept funktioniert, so ist das keine Garantie, dass es auch bei einem selbst funktioniert. Man muss mutig sein, auch mal etwas zu verändern, nicht immer nur im sportlichen Bereich. Denn an bei einer Leistungsstagnation ließe sich natürlich einfach sagen: „Ach, ich bin eh ein low responder in diesem Bereich, da bringt mir Training realistisch gar nichts.“

    Doch es gibt weitere maßgebliche Parameter, die außer der genetischen Prädisposition einen starken Einfluss haben können. Etwa äußere Einflüsse, wie Stress und auch die Psyche und psychische Situation spielen eine entscheidende Rolle. Und selbst in der Trainingswissenschaft gibt es ein Trainingsphänomen, dass die Leistung trotz viel Training sinken lässt, das sogenannte Übertraining. Zuviel Training ist nachgewiesenermaßen leistungsmindernd. Daher sind Regenerationszeiten besonders wichtig. Man sollte immer darauf achten, trainingsfreie Tage und auch sehr niedrig intensive Trainingswochen einzubauen, gerade bei überstandenen Krankheiten oder auch wenn man das körperliche Bedürfnis nach Erholung hat. Wichtig für einen langfristigen körperlichen Aufbau ist, dass man einerseits offen ist auch mal etwas zu verändern und trotzdem nicht gleich aufgibt, sondern Trainingsziele auch über einen langen Zeitraum verfolgt. Es wird auch mal ein Jahr geben, in dem das Training und die Wettkämpfe nicht wirklich Früchte tragen. Doch damit ist man nicht allein, das geht auch Profis so. Nicht nur jedes Jahr ist unterschiedlich, schon jeder Tag ist ungleich, hinsichtlich der Reaktion auf Trainingsreize– abhängig von Regeneration, Ernährung, Hormonhaushalt, Schlaf, Stress + Psyche, Jahreszeit, Tageszeit, Saisonverlauf.

    Hier lohnt es sich immer wieder, die eigene Situation zu betrachten: Sind meine aktuellen Ziele realistisch zu erreichen? Kann ich angegebene Trainingszeiten und Intensitäten überhaupt durchhalten? Springt mein Körper auf diese oder jene Reize überhaupt an? Muss man eine oder alle diese Fragen mit ‚Nein‘ beantworten, sollte man etwas verändern und Ziele und Trainingsgestaltung entsprechend anpassen. Statische Trainingszyklen unterbrechen, variabel trainieren. Sich und sein Training regelmäßig hinterfragen: Trainiere ich zu viel Intervalle? Trainiere ich zu lange? Regeneriere ich zu wenig? Ernähre ich mich gut? Schlafe ich ausreichend und gut? Mache ich mir Stress in der Arbeit oder sogar beim Sport? Wie schon angesprochen, hilft es auch sich professionellen Rat einzuholen und seine Leistungsparameter überprüfen zu lassen. Ist man sich unsicher hilft auch ein persönlicher Trainer, der die eigene Situation erfassen kann und daran einen flexiblen Trainingsplan ausrichtet. Die Umfänge und Intensitäten der Profisportler zu ‚kopieren‘, ist in den meisten Fällen nicht zielführend. Ganz wichtig ist zudem die Frage, nach dem eigenen Spaß, denn der sollte immer über aller Ambition liegen.

     

    Autorin: Uli Plaumann

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    Uli ist Sportwissenschaftlerin, Laborleiterin des Radlabors München, Radguide und vieles mehr. Ihr Anspruch ist es jeden Sportler so zu beraten und zu betreuen, dass er/sie das Beste aus sich herausholen kann. Und das immer mit einem Lächeln.

     

    Quellen: 

    Bonafiglia J., Rotundo M., Whittall J., Scribbans T., Graham R., Gurd B. (2016): Inter-Individual Variability in the Adaptive Responses to Endurance and Sprint Interval Training: A Randomized Crossover Study. In: PLoS ONE 11(12).

    Pickering C., Kiely J. (2018): Do Non-Responders to Exercise Exist—and If So, What Should We Do About Them? In: Sports Medicine, Volume 49(1), 2018: S. 1–7.

    Delmonico M., Kostek M., Doldo N., Hand B., Walsh S., Conway J., Carignan C., Roth S., Hurley B. (2007): Alpha-Actinin-3 (ACTN3) R577X Polymorphism Influences Knee Extensor Peak Power Response to Strength Training in Older Men and Women In: The Journals of Gerontology: Series A, Volume 62, Issue 2, February 2007, S. 206-212.

    Jeukendrup A. (2015): Responders and non-responders. In mysportscience.com, 25.09.2015.

    Mann T., Lamberts R., Lambert M. (2014): High Responders and Low Responders: Factors Associated with Individual Variation in Response to Standardized Training. In: Sports Medicine, Volume 44, 2014: S. 1113–1124.

    McMahan I. (2019): Non-Responders: What to Do If Your Body Doesn’t Respond to Training. In: triathlete.com, 18.09.2019.

    Montero D., Lundby C. (2017): Refuting the myth of non‐response to exercise training: ‘non‐responders’ do respond to higher dose of training. In: The Journal of Physiology 595.11, 2017: S. 3377-3387.

    Scharhag-Rosenberger F., Walitzek S., Kindermann W., Meyer T. (2012): Differences in adaptations to 1 year of aerobic endurance training: individual patterns of nonresponse. In: Scandinavian Journal of Medicine & Science in Sports. Volume 22, Issue 1, Februar 2012: S. 113-118.

    Wolfahrth B. (2002): Genetische Polymorphismen bei hochtrainierten Ausdauerathleten – die Genathlete-Studie. In: Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin. Volume 53, Issue 12, 2002. S. 338-344.


    Foto by Markus Spiske (Unsplash)

    Tags: Training
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