Es sind die letzten 200m eines bis zur letzten Runde offenen Wettkampfs. Der Mainzer Jason Osborne stürmt mit über 10 Watt pro Kilogramm dem Ziel entgegen. Sein Leistungsmesser zeigt rund 700 Watt. Unter dem Applaus des begeisterten Publikums kommentieren. Emma Martin und Matt Payne seinen Endspurt, mit welchem er sich vor dem Belgier Lionel Vujasin und dem Finne Kasper Borremans seinen zweiten WM-Titel sichern kann.
Schauplatz des ganzen ist die Marina Hall 2 in Abu Dhabi, der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate. Dort kämpften 42 Fahrerinnen und Fahrer in drei nervenaufreibenden Runden um den Weltmeister-Titel. Mit von der Partie waren fünf deutsche darunter bei den Männern Weltmeister Jason Osborne und der Frankfurter Martin Maertens. Zum Teilnehmerfeld der Frauen gehörten Merle Brunnée, Pia Kummer und Emilia Welte. Die unter anderem aus dem Triathlon bekannte Merle Brunnée beendete den Wettkampf als bestplatzierte Deutsche auf Rang 6.
Es war zudem eine WM der Premieren. Zum einen waren alle Teilnehmer das erste Mal an einem Ort versammelt und fuhren „On-Stage“ gegeneinander. Zum anderen wurde der Wettkampf das erste Mal auf der Plattform MyWoosh ausgetragen, nachdem die Weltmeisterschaft zuvor 2020 bis 2023 auf Zwift ausgetragen worden ist. Außerdem wurde der Wettkampf in einem neuen Format ausgetragen, in welchem die Athleten in drei Runden um maximal mögliche 200 Punkte kämpften.
Was ist E-Cycling?

Unter E-Cycling versteht man den Transfer des klassischen Radsports in die Welt des E-Sports. Somit liegen die Wurzeln mitunter in den 1990er Jahren, in welchen durch die schnelle Verbreitung von Breitbandinternet der Grundstein für online Wettkämpfe gelegt wurde. Spätestens in den 2000er Jahren wurden professionelle Wettkampfstrukturen um einzelne Videospieltitel gebildet. Die Preisgelder erreichten hier schnell Millionenhöhe, was E-Sports für Spieler und Medien attraktiver machte. Mittlerweile ist E-Sports eine milliardenschwere Industrie mit über 500 Millionen Zuschauern geworden. Spätestens mit Einführung der Olympic ESports Series und des ESports World-Cups in diesem Jahr ist E-Sports fest in der globalen Sportstruktur verankert.
Material und technische Möglichkeiten haben sich im Radsport rasant entwickelt. Somit ergeben sich stetig neue technische Möglichkeiten, welche E-Cycling ermöglicht haben und es Jahr für Jahr attraktiver machen. Die Gründung von Zwift im Jahr 2014 beispielsweise erfolgte ziemlich genau nach zwei bahnbrechenden Ereignissen in der Welt des E-Sports. Der große Durchbruch erfolgte im Jahr 2020 während der COVID-19 Pandemie. Es wurde unter anderem eine virtuelle Tour de France organisiert.
Immer mehr Menschen suchten zu dieser Zeit eine Alternative zu Outdoor-Aktivitäten, welche sie auch in Pandemiezeiten ohne Infektionsrisiko und auch unter Lockdown-Auflagen durchführen konnten.
Was brauche ich, um mit E-Cycling zu starten?
Technische und finanzielle Hürden, welche das E-Cycling früher gegebenenfalls noch erschwert haben, sind 2025 nahezu vollständig abgebaut. Über den funktionierenden Internetanschluss und ein rollentaugliches Fahrrad verfügt wohl so ziemlich jeder Radfahrer. Den smarten Rollentrainer gibt es mittlerweile in den Einsteigerklassen zum Preis herkömmlicher Spielkonsolen. Es muss also nur noch die Platzfrage geklärt werden und der ersten Indoor-Ausfahrt steht nichts im Weg.
Ist das Fahrrad einmal auf die Rolle gebaut, sucht man sich die E-Cycling Plattform seiner Wahl und kann losradeln. Steht der reine Trainingseffekt im Vordergrund kann man seinen Rollentrainer selbstverständlich auch per App oder Radcomputer steuern.

Welches Anforderungsprofil stellen E-Cycling Rennen an mich?
Virtuelle Rennen variieren wie auch herkömmliche Rennen in ihren Streckenprofilen. Dennoch ist die überwiegende Zahl der Rennen auf kurze, etwa einstündige Belastungen, ausgelegt. Dementsprechend werden einem viele, teils hochintensive, schnell aufeinanderfolgende Belastungen, abverlangt. Das setzt eine hohe Laktattoleranz voraus, die nicht selten über Sieg und Niederlage entscheidet.
Zudem steht hinter jeder E-Cycling Plattform ihr eigener Algorithmus. So variieren Windschattenmodelle oder es gibt in den jeweiligen Rennen spezielle Werkzeuge (Power-Ups) die kurzzeitig einen Bonus, bspw. mehr Aerodynamik, gewähren.
Die Rennen können also taktisch werden und bedürfen einer guten Vorbereitung. Nicht selten werden vorab Streckenprofile studiert, um den perfekten Ablauf des Renngeschehens sicherzustellen. Im Rennen selbst bleibt aufgrund der hohen Intensität kaum Raum für Planung.
Wieso E-Cycling für jeden Radfahrer einen enormen Mehrwert bieten kann?

Das beschriebene Anforderungsprofil macht es einfach die Rennen zeitlich unterzubringen. Anders als im Cyclocross mit vergleichbarer Rennlänge fallen sogar An- und Abreise, sowie die Reinigung und der eventuell vorhandene hohe Verschleiß des Materials weg. Anmelden, aufsteigen und Rennen fahren. Immer und von nahezu überall aus möglich.
Die hochintensiven, schnell aufeinanderfolgenden Belastungen im Rennen sind ideal, um die VO2max auszubauen. Der Motor unserer Ausdauerleistungsfähigkeit, von welchem wir auch bei anderen Disziplinen profitieren können. Richtig ins Training integriert kann ich also auch als Langdistanzathlet von E-Cycling-Rennen profitieren. Das ich mein Training auf der Rolle wunderbar und bis ins kleinste Detail steuern kann, versteht sich von selbst.
Für Athleten die sich selbst in kurzen Disziplinen wie dem Cyclocross sehen, sind die E-Cycling-Rennen erstklassige Wettkampf Simulationen für den möglichen Saisonhöhepunkt im Matsch. Da technische Aspekte wie das Handling des Rads wegfallen, stellt E-Cycling auch eine ideale Möglichkeit dar, um sich stressfrei, konditionell auf ein hohes Niveau zu bringen.
Autor: Nicolas Best

